Sehe ich nicht einfach aus, wie eine Mischung aus meinen Eltern?
Ja und nein. Viele Faktoren haben Einfluss auf die Bewegungsmuster und die Physiognomie eines Menschen.
Gene sind das Potenzial, die Dispositionen, die Menschen mitbringen. Allerdings bestimmen Gene nicht allein, wie sich unsere Anlagen im Laufe unseres Lebens ausdrücken. Die Epigenetik – die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt – spielt hier eine wesentliche Rolle. Es wird immer deutlicher, dass auch unsere DNA Veränderungen durch äußere Faktoren unterlegen ist.
Wie sich Körper und Geist eines Menschen bewegen, ist die lebendige Mischung aus Anlagen, Sozialisierung, Erfahrungen und Entscheidungen.
Beispiel aus der Forschung
Ein spannendes Beispiel für diese Thematik ist die Forschung des Neurowissenschaftlers James Fallon. Fallon untersuchte Gehirnscans von Menschen, die Gewaltverbrechen ausübten. Er stellte fest, dass sie häufig eine ähnliche Gehirnstruktur aufwiesen – insbesondere einen dünnen und wenig durchbluteten frontalen Cortex. Diese Hirnregion ist u.A. wichtig für Entscheidungsfindung und Impulskontrolle. Während seiner Forschungen entdeckte Fallon, dass er selbst ein ganz ähnliches Gehirnprofil aufweist. Trotz dieser genetischen und anatomischen Prädisposition lebt er ein Verbrechens-freies Leben. Genetische Dispositionen können – je nach Sozialisierung – vielfältig gelebt und ausgedrückt werden und müssen nicht zwangsläufig zu einem bestimmten Verhalten und Lebensweg führen.
Ständige Veränderung
Wie ein Mensch seine Anlagen lebt, steht nicht in den Genen festgeschrieben. Selbst eineiige Zwillinge (identische DNA) entwickeln je nach Sozialisierung und persönlichem Erfahrungsschatz eine sehr unterschiedliche Physiognomie, andere Gestik, Stimmfarben etc.
Entscheiden wir uns für ein Leben geprägt von Disziplin sehen wir anders aus, als wenn Genuss und Emotionalität in den Mittelpunkt unseres Leben gerückt sind. Das können wir uns wie Muskeltraining vorstellen. Ein Mensch, der sich viel ‘verbeißt’ und durchhält, wird eine starke Kiefermuskulatur entwickeln. Jemand, der viel lacht, trainiert die 17 Lachmuskeln im Gesicht und wird seine Muskelspannung im Gesicht ebenso entsprechend verändern.
Kultur & Evolution
Jeder Mensch hat eine Haut und Muskeln unter der Gesichtshaut. Diese verwenden wir sehr individuell. Überall auf der Welt sind Empfindungs-Naturelle, Bewegungs-Naturelle und Ruhe-Naturelle zuhause. Das sind die drei Grundtypen der Körper- und Gesichtssprache. Auch jedes Merkmal ist überall auf der Welt zu finden.
Einzelne Merkmale in unserem Gesicht, wie Augenform, Nasenstruktur und Hautfarbe, sind außerdem das Ergebnis evolutionärer Prozesse. Die Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen hat spezifische physische Merkmale hervorgebracht, z.B. die Form unserer Nasenflügel. Im globalen Norden/ kaltem Klima hatten Menschen tendenziell schmale Nasenflügel, um die kalte, einströmende Luft zu erwärmen, bevor sie in den Körper eintritt. Im globalen Süden hatten Menschen tendenziell ausgestellt Nasenflügel, um die einströmende Luft zu kühlen. Es gibt also Merkmale, die klima- und ortsbedingt waren.
Es ist zu beobachten, dass Menschen, die viele Jahre in einer anderen Kultur verbringen, sich äußerlich (und innerlich) verändern und ihr Gesicht sich der neuen Kultur physiognomisch annähert. Wir sind also viel weniger festgelegt, als wir häufig glauben.
Unsere Wahrnehmung und Unterscheidungsfähigkeit für Gesichter ist stark geprägt von den Gesichtern, die uns täglich umgeben. Verbringen wir mehr Zeit mit Menschen aus anderen Kulturkreisen, verbessert sich unsere Unterscheidungsfähigkeit für die Gesichter um uns herum.
Übersetzung von Körper und Gesicht
Die Gesicht- und Körpersprache fragt sich: Wie ist Spannung und Energie im Körper verteilt? Welche Faktoren impulsieren Wachstum in der Zelle? Welche physikalische Kraft lässt uns die Haare zu Berge stehen oder die Ohren unter Spannung abstehen?
Zu verstehen, welche Kräfte sich in welchem Verhältnis durch den eigenen Körper ausdrücken, erleben viele Menschen als Aha-Erlebnis. Genauso wie das Bewusstsein: Es steckt eine Menge Potenzial in jedem Körper, das auf ganz unterschiedliche Weise gelebt werden kann.